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Al Watan

Al Watan: Mit Weltmusik zur Integration

Vor sechs Jahren startete die Mandolinen-Konzertgesellschaft Wuppertal e. V. ihr Flüchtlingsprojekt. Vieles hat sich seitdem bei dem mehrfach ausgezeichneten Engagement gewandelt. Doch eins ist geblieben: der Zusammenhalt und der Spaß am gemeinsamen Musizieren.

„Das Projekt ist beendet ­– doch in Al Watan lebt die Integration weiter“, titelte die Westdeutsche Zeitung treffend im Dezember 2018. Nach mehr als dreieinhalb Jahren Engagement in der Flüchtlingsarbeit beendete die Mandolinen-Konzertgesellschaft Wuppertal e. V. (makoge) ihr Projekt „Instrumentalunterricht für Geflüchtete“. Und auch wenn es für die Beteiligten um Initiator Thomas Horrion ein schmerzlicher Schritt war, so bedeutete er noch lange nicht das Ende für die Unterstützung von musikbegeisterten Flüchtlingen. Bis heute lebt der Integrationsgedanke weiter.

Der Integrationsgedanke steht ganz vorne

Mehr als zwei Jahre ist es also schon her, dass sich die Arbeit des Wuppertaler Laienorchesters gewandelt hat. Doch fangen wir noch mal – kurz zusammengefasst – ganz vorne an. Sommer 2015: Die Flüchtlingswelle überrennt Deutschland, Merkel sagt „Wir schaffen das“. Während es anderswo die ersten Anschläge auf Flüchtlingsheime gibt, wird in Wuppertal der Integrationsgedanke immer stärker: „Wir wollen den jungen Menschen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung anbieten“, sagt Horrion damals. Getreu dem Motto „Jeder macht, was er kann“ hat das Zupforchester auf die aktuelle Situation reagiert, und bietet für junge Geflüchtete kostenlosen Instrumentalunterricht an Mandoline, Gitarre oder Bağlama an. Ein Schritt, der sich schnell als wichtig und richtig herausstellt.

Nach Planungen im September und dem Beginn des Projekts im Oktober, das auf eine Ausschreibung des Landesmusikrates folgt, lernen schnell mehr als 34 junge Menschen zwischen fünf und 34 Jahren ein Instrument. Sie erhalten Unterricht von qualifizieren Lehrern. Die Bergische Musikschule Wuppertal als Kooperationspartner stellt dafür kostenlos ihre Räume zur Verfügung. Und es werden noch mehr Teilnehmer: Gut ein Jahr nach dem Start sind es 65 Nachwuchsmusiker, und eigentlich könnte die makoge pausenlos noch weitere Interessierte in ihr Flüchtlingsprojekt aufnehmen.

Viele Wuppertaler Institutionen machen das Projekt möglich

Finanziert wird der Instrumentalunterricht am Anfang fast ausschließlich vom Landesmusikrat. Später kommen diverse Spenden von Privatpersonen hinzu, ebenso Einnahmen aus Benefizkonzerten, dem Bergischen Kulturfonds oder auch vom Rotary Club Wuppertal-Bergisches Land und der Jackstädt Stiftung. Geld gibt es auch von der Stiftung der Sparda-Bank West, die das Engagement der makoge mit dem Preis des Sparda-Musiknetzwerkes 2016 auszeichnet. „Die Jury im Sparda-Musiknetzwerk würdigt dieses engagierte Projekt für die aktive Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels“, heißt es von der Stiftung.

Ebenfalls aufmerksam wird die Bundesregierung: Über deren Kanäle in den sozialen Netzwerken wie YouTube, Twitter und Facebook verbreitet sie einen Kurzfilm über die Tätigkeiten des Wuppertaler Zupforchesters. Unter den mehr als 500 Initiativen, die auf der Internetseite www.deutschland-kann-das.de registriert sind, werden nur zehn ausgewählt – darunter eben das Engagement der makoge. Darüber hinaus lädt die Bundeskanzlerin Thomas Horrion als Initiator zu einem Empfang ins Bundeskanzleramt ein. „Die Einladung kam überraschend, war aber eine sehr schöne Anerkennung für unsere Arbeit“, sagt der stellvertretende makoge-Vorsitzende.

2017 erhält das Projektensemble seinen Namen: Al Watan

Mit der Zeit trägt die musikalische Arbeit erste Früchte. Immer häufiger treten einzelne Teilnehmer bei Veranstaltungen auf, mal sind es auch bis zu 20 Musiker, die sich mit einigen makoge-Mitgliedern zu einem Projektensemble zusammenschließen. Im August 2017 erhält es seinen Namen. Horrion: „Al Watan kommt aus dem Arabischen und bedeutet Heimat.“ Und von da an folgt ein Auftritt nach dem anderen. Die jungen Musiker spielen bei Empfängen des Katholikenrates, in der Stadtbücherei, in Altenheimen und natürlich auch bei Konzerten der Mandolinen-Konzertgesellschaft. Auftritte, die bei den Teilnehmern in Erinnerung bleiben. So berichtet etwa Jamal: „Unser größter Erfolg war, dass wir zum Beispiel in der Historischen Stadthalle in Wuppertal spielen durften.“

Während Al Watan auf Erfolgskurs ist, geht das Instrumentalprojekt für Geflüchtete Mitte Dezember 2018 zu Ende. Mehrere Gründe führen die Verantwortlichen für ihre Entscheidung an. Zum einen sei es aufgrund einer veränderten politischen und gesellschaftlichen Stimmung für Flüchtlingshelfer immer schwieriger, Spenden zu akquirieren. „Zum anderen war das Ziel des Projekts, die Geflüchteten in Wuppertal willkommen zu heißen, ihnen eine Starthilfe zu bieten und sie bei ihrer Integration zu unterstützen“, erklärt Horrion. Dieses Ziel sei nun – Ende 2018 – erreicht.

Keine Zeit fürs Durchschnaufen

Doch ein Blick in den Veranstaltungskalender macht deutlich: So ganz gibt die makoge ihren Integrationsgedanken nicht auf. Nur sieben Tage nach dem offiziellen Ende des Flüchtlingsprojekts gibt es ein gelungenes Konzert von Al Watan und Aeham Ahmad – dem syrischen „Pianisten aus den Trümmern“. Obwohl es der 23. Dezember ist, ist das Wuppertaler Szene-Café, in dem die Musiker auftreten, überfüllt. Menschen sitzen dicht gedrängt, viele Besucher müssen stehen. Einige kommen gar nicht erst hinein.

Al Watan

Die makoge gibt jungen Geflüchteten eine Heimat.

Durchschnaufen können die Musiker nach diesem Erfolg nicht. Anfang Februar 2019 gibt es direkt die nächsten Auftritte. Diesmal in der Wuppertaler Uni-Halle, es folgt ein Benefizkonzert zugunsten Schulpatenschaften zwischen Wuppertal und Israel, Jam-Sessions und mehr. Immer mehr wird das Repertoire von Al Watan zum Markenzeichen. Westliche, türkische, arabische oder israelische Lieder verschmelzen zu einer musikalischen Weltreise – so unterschiedlich wie die jungen Mitspieler des Ensembles, die aus Deutschland, der Türkei oder dem Nahen Osten kommen. Gerade diese Mischung kommt bei den Zuhörern gut an. „Wir wollen sie an unserer Weltreise teilhaben lassen. Und, dass sie genauso viel Spaß haben wie wir bei unserem Projekt“, berichtet Mitspielerin Melda.

Mehr als nur die Musik: Es geht auch um die Bedeutung des interkulturellen Zusammenspiels

Diese Gedanken werden auch noch einmal deutlich bei den letzten Konzerten vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. „Die schönste Erinnerung für mich ist, dass wir mit dem Chor Women of Wuppertal aufgetreten sind. Der Chor vereint Frauen, auch mit verschiedenen Nationen wie unser Ensemble. Mit dem Chor hat unsere Musik die Bedeutung von Freiheit, Toleranz, Weltoffenheit und das friedliche Miteinander gezeigt. Das war echt ein unvergesslicher Auftritt“, macht Jamal deutlich. Und dazu gehört auch das Festkonzert anlässlich 100 Jahren Zupfmusik in Wuppertal, bei dem nicht nur makoge und Al Watan auftraten, sondern auch das ZupfEnsemble Wuppertal sowie ein Ensemble mit Gitarren- und Mandolinenschülern der Bergischen Musikschule und der Folkwang Musikschule Essen.

Die Corona-Pandemie macht Proben unmöglich

Doch Corona bremst die Musik aus. Keine Konzerte, kaum Proben. „Jetzt wo das ganze weggefallen ist, ist es emotional immer schwieriger, ohne diese ganzen Menschen um uns herum, die das gleiche Hobby teilen, als Musiker weiterzumachen“, sagt Melda. Es bleiben nur Videos, bei denen die Musiker ihre Stimme einzeln aufnehmen, die anschließend zusammengefügt werden. Und es bleibt die Hoffnung: „Wir versuchen, die Zeit gut zu überstehen, zu überbrücken, und sobald es wieder losgehen kann, einfach wieder weiterzumachen, wo wir aufgehört haben“, beschreibt die junge Gitarristin.

Wie genau es mit dem Ensemble nun aber weitergeht, wissen Jamal, Melda, Thomas Horrion und die anderen Al Watan-Mitspieler angesichts der sich gerade erst abschwächenden Infektionslage nicht. Gewiss ist nur: Zusammenhalt und der Spaß am gemeinsamen Musizieren werden bei dem Wuppertaler Projekt auch in der Zukunft im Vordergrund stehen.